DIE ERFINDUNG DER KUNST


In Saal Nr. 1 der Mittelalter-Galerie sehen Sie die ältesten Bilder der Sammlung – älter sogar als der Begriff „Kunst“. Wie ist das zu verstehen? Es ist sind Bilder darunter, die noch gar nicht als Kunstwerke gedacht, sondern als Kultobjekte fest im religiösen Leben der Menschen verankert waren. Diese Bilder von Christus und Maria, von männlichen und weiblichen Heiligen, waren deswegen aber nicht minder wichtig oder bedeutend – eher im Gegenteil: Sie vertraten die dargestellten Heiligen quasi als Person. Sie nahmen Gebete entgegen und erwiesen Gnade, etwa durch Heilung von Körper, Geist und Seele. Manche von ihnen wurden auch bei Prozessionen durch die Straßen getragen. Kurz: sie wurden zu religiösen Zwecken regelrecht benutzt. Eines der Bilder in diesem Raum enthält sogar eine Gebrauchsanweisung. Im Gegenzug für Beichte und Gebete verspricht dieses Ablassbild dem reuigen Sünder nach seinem Tod einen deutlich kürzeren Aufenthalt im Fegefeuer – und damit einen schnelleren Weg ins Paradies.

Manche der hier gezeigten italienischen Gemälde haben ihre Wurzeln in der Ikonenmalerei aus Byzanz (Konstantinopel), die gerade in Italien starken Einfluss hatte. Die in Italien schon früh entwickelte städtische Kultur beförderte den öffentlichen Umgang mit dem Bild. So war es möglich, dass schließlich sogar eine „Geißelung Christi“ den Aktendeckel städtischer Finanzbeamter schmückte! Mit der Verbreitung des christlichen Bildes in weltlichen Zusammenhängen kamen neue Werte ins Spiel. Die geistig-geistlichen Werte, die der Goldgrund verkörperte, wurden abgelöst durch Kunstwerte im modernen Sinn: Etwa besondere Fähigkeiten einzelner Künstler, Menschen und Räume lebensecht wiederzugeben. Aus dem Kultobjekt wurde ein Fenster auf die Welt – ein entscheidender Schritt zur Kunst im heutigen Sinne.

  • Lucca, um 1250 – 1260: Thronende Madonna mit dem Kind. Leinwand auf Pappelholz, 104 x 63 cm. Erworben 1968 als Leihgabe der Familie Neven DuMont, Köln. WRM Dep. 0319. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
    Lucca, um 1250 – 1260: Thronende Madonna mit dem Kind. Leinwand auf Pappelholz, 104 x 63 cm. Erworben 1968 als Leihgabe der Familie Neven DuMont, Köln. WRM Dep. 0319. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
  • Simone Martini (Siena um 1284 – 1344 Avignon): Maria mit dem Kind, um 1316 – 1317. Pappelholz, 79,5 x 57 cm. Erworben 1961 als Geschenk des Landes Nordrhein-Westfalen. WRM 0880. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
    Simone Martini (Siena um 1284 – 1344 Avignon): Maria mit dem Kind, um 1316 – 1317. Pappelholz, 79,5 x 57 cm. Erworben 1961 als Geschenk des Landes Nordrhein-Westfalen. WRM 0880. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
  • Maestro dell’ Osservanza (Werkstatt), tätig in Siena um 1440 – um 1480: Geißelung Christi, 1441. Pappelholz, 45 x 30,5 cm. Erworben 1968 als Leihgabe der Familie Neven DuMont, Köln. WRM Dep. 0321. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
    Maestro dell’ Osservanza (Werkstatt), tätig in Siena um 1440 – um 1480: Geißelung Christi, 1441. Pappelholz, 45 x 30,5 cm. Erworben 1968 als Leihgabe der Familie Neven DuMont, Köln. WRM Dep. 0321. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
  • Umbrien, letztes Viertel des 15. Jahrhunderts: Christus als Schmerzensmann. Pappelholz, 81,5 x 50 cm. Erworben 1930 als Überweisung vom Museum Schnütgen. WRM 0744. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln
    Umbrien, letztes Viertel des 15. Jahrhunderts: Christus als Schmerzensmann. Pappelholz, 81,5 x 50 cm. Erworben 1930 als Überweisung vom Museum Schnütgen. WRM 0744. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln